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Leseprobe

 


Es war ein schöner Tag. Glanz lag über der Stadt.
Stahlblauer Himmel spiegelte sich in den Glasfassaden. Bunt wie Bonbonpapier schmiegten
sich die Werbebotschaften an die schicken Neubauten.


Der Formenreichtum gigantischer Keksrollen, Pappschachteln, eingetrockneter Pralinen, Konservendosen, 
Steinklötze und klebriger Drops strahlte im gleisenden Licht. 
Ein Freudianer hätte seine Freude daran, wie Architekten von München bis Hamburg ihre postnatalen Phasen 
auslebten, indem sie auf die Bauklötze ihrer Kinderzeit zurückgriffen. 
Zwar waren sie nicht mehr so kreativ wie damals, aber dafür hatten sie es inzwischen gelernt, 
ihre infantilen Kreationen anderen aufzuschwatzen – und kriegten sogar noch echt Geld dafür.


Es war eine wahre Wonne, überall diesen Leipziger Glanz zu spüren. 
An allen vier Wänden. Jedem Putzfimmelbegeisterten juckte es förmlich in den Fingern, 
die Fliesen aprilfrisch rauf- und runterzuwischen. 
Die aalglatten Fassaden in auffälligen modischen Farben, einfach, gekästelt und gerahmt. 
Fast wie eine Hansestadt, an jedem zweiten Neubau Bullaugen. 
Ein Hauch von Titanic begleitete den Betrachter. 


Sogleich auf den ersten Blick sah man, daß Qualität von ambitionierten Architekten jetzt die Stadt markierte. 
Eine Einheitsschule hatte sich durchgesetzt, wo mit Prof. CAD alle den gleichen Lehrer gehabt haben mußten. 
So eckig oder rund sie auch waren, es machte Freude, wie gewaltige Tonnagen von Glas, Glitzer und Glimmer 
wie Luftschlösser lichtüberflutend wirkten, daß man nur staunen kann.


Mit stolz geschwellter Brust auf diese Reichtümer blickend, prominierte ich die Reitzenhainer Straße entlang. 
Leipzig schien wieder die Stadt der Millionäre zu werden, wo Rechtsanwälte, Beamte, Ärzte, 
Professoren, Neufundländer, Notare, Geschäftsführer, Makler, Deutsche Doggen, Filialleiter von Billigmärkten, 
Immobilienhändler und Dalmatiner das Weichbild bestimmen. 
Als Fußgänger mußte man nur achtsam einen Bogen um die vielen großen Haufen machen, wenn man zu dem Prunk aufsah.