GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE
VON Dr. W. WINDELBAND PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG. FREIBURG I. B. 1892. AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C. B. M O H R (PAUL SIEBECK). Vorwort. Nach mancherlei schmerzlich empfundenen Unterbrechungen und Verzögerungen bringe ich jetzt endlich den Abschluss des Werks, dessen erste Bogen schon vor zwei Jahren in die Welt gingen. Man wird diese Arbeit nicht mit den Compendien verwechseln, wozu wohl sonst Collegienhefte über die allgemeine Geschichte der Philosophie ausstaffiert worden sind: was ich biete, ist ein ernsthaftes Lehrbuch, welches die Entwicklung der Ideen der europäischen Philosophie in übersichtlicher und gedrängter Darstellung schildern soll, um zu zeigen, durch welche Denkantriebe im Laufe der geschichtlichen Bewegung die Principien zum Bewusstsein gebracht und herangebildet worden sind, nach denen wir heute Welt und Menschenleben wissenschaftlich begreifen und beurteilen. Es soll dazu beitragen, dass die Geschichte der Philosophie ihre wahre Aufgabe nicht aus den Augen verliert, und verhüten, dass in ihr die Philosophie selbst vergessen wird. Dieser Zweck hat die gesammte Gestaltung meines Buches bestimmt. Die literarhistorische Grundlage der Forschung, das biographische und bibliographische Material, musste deshalb auf den engsten Raum und auf eine Auswahl beschränkt werden, welche dem weiter arbeitenden Leser die Wege zu den besten Quellen eröffnet. Auch auf die eigenen Darlegungen der Philosophen wurde wesentlich nur da verwiesen, wo sie dauernd wertvolle Formulierungen und Begründungen der Gedanken darbieten, und daneben nur hie und da dasjenige angeführt, worauf sich eine von der üblichen abweichende Auffassung des Verfassers stützt. Dabei fiel die Auswahl des Stoffs überall nur auf dasjenige, was die einzelnen Denker an Neuem und Fruchtbarem geleistet haben, und höchstens kurze Erwähnung fanden die rein individuellen Gedankenverschiebungen, welche zwar ein willkommner Gegenstand für gelehrte Forschung sein mögen, aber kein philosophisches Interesse darbieten. Den Schwerpunkt legte ich, wie schon in der äusseren Form zu Tage tritt, auf die Entwicklung desjenigen, was im philosophischen Betracht das Wichtigste ist: die Geschichte der Probleme und der Begriffe. Diese als ein zusammenhängendes und überall in einander greifendes Ganzes zu verstehen, ist meine hauptsächliche Absicht gewesen. Die historische Verflechtung der verschiedenen Gedankengänge, aus denen unsere Welt- und Lebensansicht erwachsen ist, bildet den eigentlichsten Gegenstand meiner Arbeit: und ich bin überzeugt, dass diese Aufgabe nicht durch eine begriffliche Konstruktion, sondern nur durch eine allseitige, vorurteilslose Durchforschung der Tatsachen zu lösen ist. Wenn aber dabei — schon der räumlichen Ökonomie nach — dem Altertum ein verhältnissmässig grosser Teil des Ganzen gewidmet erscheint, so beruht das auf der Überzeugung, dass für ein historisches Verständniss unsres Intellektuellen Daseins die Ausschmiedung der Begriffe, welche der griechische Geist dem Wirklichen in Natur und Menschenleben abgerungen hat, wichtiger ist als alles was seitdem — die kantische Philosophie ausgenommen — gedacht worden ist. Die so gestellte Aufgabe verlangte jedoch einen Verzicht, den Niemand mehr bedauern kann, als ich selbst: die rein sachliche Behandlung der historischen Bewegung der Philosophie erlaubte nicht, die Persönlichkeit der Philosophen zu eindrucksvoller Geltung zu bringen. Diese konnte nur da berührt werden, wo sie als kausales Moment in der Verknüpfung und Umgestaltung der Ideen wirksam wird. Der ästhetische Zauber, welcher dem individuellen Eigenwesen der grossen Träger jener Bewegung innewohnt, und welcher dem akademischen Vortrage wie der breiteren Darstellung der Geschichte der Philosophie seinen besonderen Reiz verleiht, musste hier zu Gunsten des Einblicks in die pragmatische Notwendigkeit des geistigen Geschehens preisgegeben werden. Lebhaften Dank spreche ich schliesslich auch an dieser Stelle meinem Herrn Collegen Dr. hensel aus, welcher nicht nur bei einem Teile der Correctur mich unterstützt, sondern auch durch Aufstellung des Sachregisters die Brauchbarkeit des Buches wesentlich erhöht hat. Strassburg, im November 1891. Wilhelm Windelband. I n h a l t. Einleitung S. 1 —17. § 1. Name und Begriff der Philosophie. S. 1. — § 2. Die Geschichte der Philosophie. S. 6. — § 3. Einteilung der Philosophie und ihrer Geschichte. S. 15. I. Teil. Die Philosophie der Griechen. S. 18 —120. 1. Kap.: Die kosmologische Periode. S. 20 —50. § 4. Begriffe des Seins. S. 24 — § 5. Begriffe des Geschehens. S. 36. § 6. Begriffe des Erkennens. S. 44. 2. Kap.: Die anthropologische Periode. S. 50 —75. § 7. Das Problem der Sittlichkeit. S. 55. — § 8. Das Problem der Wissenschaft. S. 67. 3. Kap.: Die systematische Periode. S. 76 —120. § 9. Die Neubegründung der Metaphysik durch Erkenntnistheorie und Ethik. S. 80. — § 10. Das System des Materialismus. S. 84. — § 11. Das System des Idealismus. S. 90. — § 12. Die aristotelische Logik. S. 102. — § 13. Das System der Entwicklung. S. 107. II. Teil. Die hellenistisch-römische Philosophie. S. 121 —206. 1. Kap.: Die ethische Periode. S. 124 —164. § 14. Das Ideal des Weisen. S. 128. — § 15. Mechanismus und Teleologie. S. 139. — § 16. Willensfreiheit und Weltvollkommenheit. S. 149. — § 17. Die Kriterien der Wahrheit. S. 155. 2. Kap.: Die religiöse Periode. S. 164 —206. § 18. Autorität und Offenbarung. S. 171. — § 19. Geist und Materie. S. 180. — § 20. Gott und Welt. S. 185. — § 21. Das Problem der Weltgeschichte. S. 200. III. Teil. Die mittelalterliche Philosophie. S. 207 —274. 1. Kap.: Erste Periode. S. 212 —244. § 22. Die Metaphysik der inneren Erfahrung. S. 217. — § 23. Der Universalienstreit. S. 227. — § 24. Der Dualismus von Leib und Seele. S.238. 2. Kap.: Zweite Periode. S. 244 —274. § 25. Das Reich der Natur und das Reich der Gnade. S. 251. - § 26. Der Primat des Willens oder des Verstandes. S. 259. - § 27. Das Problem der Individualität. S. 266. IV. Teil. Die Philosophie der Renaissance. S. 275 —344. 1. Kap.: Die humanistische Periode. S. 278 —298. § 28. Der Kampf der Traditionen. S. 282. — § 29. Makrokosmus und Mikrokosmus. S. 289. 2. Kap.: Die naturwissenschaftliche Periode. S. 298 —344. § 30. Das Problem der Methode. S. 302. — § 31. Substanz und Causalität. S. 315. — § 32. Das Naturrecht. S. 336. V. Die Philosophie der Aufklärung. S. 345 —416. 1. Kap.: Die theoretischen Fragen. S. 352 —393. § 33. Die eingeborenen Ideen. S. 354. — § 34. Die Erkenntniss der Aussenwelt. S. 367. — § 35. Die natürliche Religion. S. 383. 2. Kap.: Die praktischen Fragen. S. 393 —416. § 36. Die Principien der Moral. S. 395. — § 37. Das Culturproblem. S. 408. VI. Die deutsche Philosophie. S. 417 —489. 1. Kap.: Kant's Kritik der Vernunft. S. 418 —446. § 38. Der Gegenstand der Erkenntnis. S. 422. — § 39. Der kategorische Imperativ. S. 433. — § 40. Die natürliche Zweckmässigkeit. S. 440. 2. Kap.: Die Entwicklung des Idealismus. S. 446 —489. § 41. Das Ding-an-sich. S. 450. — § 42. Das System der Vernunft. S. 464. — § 43. Die Metaphysik der Irrationalen. S. 484. VI. Die Philosophie des 19. Jahrhunderts (Schluss). S. 490 —503. § 44. Der Kampf um die Seele. S. 495. — § 45. Natur und Geschichte. S. 500. Namenregister S. 504. Sachregister S. 509.